Indien und zurück.

Endlich weg! – Kapitel 1

Das war der manifestierte Gedanke. Endlich weg. Alles das, die Trauer, mein Leiden, mein Leben – der ganze Mist: ich will jetzt weg.

Indien. Dieses Land stand schon sehr lange auf meine Reise-Wunschliste. Nur hatte es für mich jetzt einen ganz anderen Aspekt: Ich will dahin, wo es den Menschen noch schlechter geht als mir. Noch viel schlechter! Ich will das sehen. Das Gefühl haben, dass ich noch nicht ganz am Boden bin.

Dieser Gedanke trieb mich ins Reisebüro. Die Worte, die ich damals der netten Dame über den Schreibtisch zuflüsterte waren: “Bringen Sie mich bitte nach Indien! Ich hätte gerne das Hotel mit den schlechtesten Bewertungen gebucht. Essen, Verpflegung, Luxus und alles andere spielt für mich keine Rolle mehr.”
Ich glaube ich habe diese liebe Frau völlig überfordert. Sie antwortete mir, dass die Agentur so etwas – was ich im speziellen suchte – nicht im Programm führt. Flug ja, alles andere nicht.
So blieb mir nichts anderes über, als dem Vorschlag so zu folgen. Die erwartungsvolle Zeit bis zum Abflug verbrachte ich mit vielen besuchen beim Arzt. Ich war damals noch ein äußerst ängstlicher Mensch muss man wissen und da war es für mich schlüssig, mich mit Impfstoffen so zu versorgen, dass mir auf keinen Fall in dieser ärmlichen Welt etwas passiert. Ich glaube, dass die Impfungen, die ich intus hatte, in Summe megr Geld verschlungen hat als der ganze Flug. Damals war ich noch Privatversichert – somit war’s mir egal.
Der Flugtermin rückte näher und langsam wurde mir bewusst, dass ich das alles jetzt doch nicht mehr so “cool” fand als ich noch dachte. Es fühlte sich so planlos an. Der Flug von München nach Dubai verlief ohne große Zwischenfälle und ich verbrachte die drei Stunden zwischen den Flügen größtenteils in einer anspruchsvollen Cafeteria. Mein Flug nach Thiruvananthapuram (Trivandrum) wurde aufgerufen und ich begab mich zum entsprechenden Gate.
Dort angekommen stellte sich sehr schnell eine Art Unbehagen ein. Ich war gefühlt der einzige Europäer in diesem Flieger. Alle anderen waren Arbeiter die geschundenen Fleisches aufgereiht und stinkend nebeneinander saßen. Gastarbeiter aus Dubai, völlig überarbeitet und auf dem Weg zurück zu ihren Familien.
Das Boarding begann und ich hatte relativ zügig meinen Platz im Flugzeug erreicht. Es füllte sich rasch mit all den “Gestallten” und immer wieder hoffte ich, dass der eine oder andere einfach nur weitergeht und sich bitte nicht neben mich setzt.
Ein relativ gut angezogener männlicher Inder, mittleren Alters, betrat den linken Gang des kleinen Airbus A320 und ich wünschte mir insgeheim, dass dieser den Platz neben mir einnehmen sollte. Er kam näher und ja, also – tatsächlich setzte er sich neben mich auf den freien Sitzplatz und grüßte mich. Unglaublich für den Moment.
Der Flieger hob ab und die kommenden 30 Minuten genossen alle Insassen die Stille und lauschten dem Surren der Turbinen. Dann ging das Licht wieder an und wir näherten uns mit dem gepflegten Standard einer Konversation freundlich an: Grund der Reise, wo geht’s hin und wo her man kommt. In Englischer Sprache natürlich. Dass der gute Mann ein Geistlicher war hatte ich schon verstanden. Als er dann von mir erfuhr, dass ich aus der Münchener Gegend war, konterte er: “Oh, dann können wir ja bayerisch weiterreden – i kum aus der Nähe von Weiden in der Oberpfalz” – auf dem Weg in sein Land um ein soziales Projekt zu besuchen. Während die anderen Passagiere schon schliefen waren wir immer noch im Dialog und ich war überglücklich bereits vor Ankunft so viel über dieses mystische Land zu erfahren. All meine Ängste verflogen immer mehr, je näher ich meinem Zielort kam.
Nach der Landung gingen wir zügig in die Ankunftshalle und warteten auf das Gepäck. Als der Priester (seinen richtigen Namen habe ich leider vergessen) alle Gepäckstücke beisammen hatte verabschiedete er sich und wünschte mir ein gutes Leben. Ich erwiderte diesen frommen Wunsch gerne.
Nach mittlerweile vergangenen 60 Minuten stand ich Mutter Selen alleine vor dem Kofferband das dann letztendlich zum Stillstand kam. Alle anderen waren schon weg und mein Koffer kam einfach nicht. Irgendwie war all meine neu erworbene Euphorie schon wieder am verblassen und ich war schon langsam meiner Wut nahe. Also diese Art von Wut die immer hochstieg, wenn etwas nicht so lief wie ich es mir vorgestellt habe. Die des Prinzen! Aber wenn ich ehrlich sein darf: ich hätte heulen können. Ich war alleine und ohne Gepäck. Und, verstanden hat mich dort auch niemand als ich dann fuchtelig umherlief und versuchte das Flughafenpersonal “freundlich” zu bemühen.
Und dann, da war er wieder: mein Freund, der Pfarrer aus der Oberpfalz! “Wo bist’n du?” fragte er mich. Er machte sich Sorgen um mich weil ich nicht aus dem Gebäude kam und da ging er wieder zurück in die Ankunftshalle. Ich erklärte ihm meine Situation und er ging weg, mit der Bitte ich soll doch hier warten. Nach 10 Minuten kam er mit dem Koffer in der Hand zurück. “Da!” sagte er. Und flieg das nächste mal nicht mit einem “Samsonite” in so ein Land!
Autsch. Das geht ja gut los dachte ich und schnappte mir ein Taxi, das mich zu meiner Behausung bringen sollte.