Indien und zurück.

Abschied – Kapitel 5

Die letzten Tage waren angebrochen. In diesen Stunden wollte ich Zeit für mich und meine Gesundheit. Tage ohne Action, ohne Erlebnisse und ohne Ben. Nach dem Frühstück, welches ich meist in einer romantischen Bar auf einem Felsvorsprung in einer kleinen Bucht über dem Meer eingenommen hatte, verweilte ich dort nun etwas länger als sonst. Ich genoss den Blick auf das Meer, die Kühle, die frische Briese und hoffte wieder, dass ein paar vorbeischwimmende Delphine mich verzauberten. Am späteren Nachmittag arbeitete ich dann meist meinen ausstehenden Ayurveda-Plan weiter ab. Massagen, Tee und rumsitzen. Am Abend schloss ich mich einer kleineren Gruppe am Strand zur Meditation an. Abendessen, schlafen. Je öfter sich dieser Tagesablauf wiederholte, desto nachdenklicher stimmte mich all das Erlebte und das, was ich in den Momenten der Entspannung empfand. Ein ungewöhnliches Gefühl plagte mich: Heimweh.
So reizvoll ich das alles hier empfand, all die lieben Menschen, die mir ans Herz gewachsen waren, Die tollen Gespräche um Mitternacht mit meinem “Vermieter”, mein Wellnessdepartment, das Meer, die Landschaft – so begriff ich langsam, dass ich hier nicht hingehörte, Ja, ich wollte wieder nach hause. Es begann mich zu nerven – diese schöne und einfache Welt. Es war laut. Furchtbar laut. Immer. Die laute Musik am morgen, die Gebete, das Hupen der Tucktuck’s, der Verkehr, die vielen Menschen. Von früh bis spät Lärm. Und wenn dann die Nacht angebrochen war, dann bellten die Hunde. Das Essen. Meist nur mit der Hand in den Mund, geschmacklich sehr einfach und monoton. Gespräche mit dem Inhalt: woher kommst du? Warum und weshalb bist du hier?
Ich konnte das was sich hier zusammenbraute gar nicht verstehen. Ein riesiges Gewitter in mir selbst. Ohne Einfluss. Das war überhaupt nicht greifbar für mich und auch so gar nicht kalkuliert. Indien: das Land sollte mich doch verändern, mich erleuchten und noch so vieles mehr. Und jetzt nervt mich alles? Zurück nach Deutschland?

Ein grauer und trister Morgen. 4 Uhr 30. Ich war schon länger auf den Beinen und verabschiedete mich von Amal der mir half zu packen. Ein letztes Mal indisches Fernsehen, indische Werbung und echten indischen Chai. Jetzt wurde ich doch noch etwas Wehmütig und trotz der Freude auf zuhause tat es mir fast ein bisschen leid mich jetzt verabschieden zu müssen. Ben brachte mich zum Flughafen. Obwohl wir unsere Kontaktdaten ausgetauscht hatten und versprochen hatten, zu schreiben – wusste ich, wir würden uns nicht mehr wiedersehen.

Ich erreichte Deutschland in den späten Abendstunden. Meine Kinder und Eltern erwarteten mich am Flughafen. Gespannt lauschten sie auf dem Nachhauseweg den für mich eher dürftig ausfallenden Erzählungen über das Land, die Menschen und meinen Erlebnissen.

Am nächsten morgen war das Jetlag wohl dafür verantwortlich, dass ich schon wieder um 4:00 Uhr auf den Beinen war. Ich sortierte die Wäsche und meine mitgebrachten Geschenke und Erinnerungen.
Gegen sieben verließ ich dann das Haus in Richtung Bäckerei. Dort eingekauft machte ich mich mit einem “Coffee to go”, einer Butterbreze und einem Faschingskrapfen wieder auf den Rückweg. Nicht jedoch ohne vorher meinen Wald zu besuchen. Nur ein paar Schritte. Es fing an leicht zu schneien. Die Bäume, die verschneite, weiße Landschaft, die Kälte und die Stille waren für mich das größte Geschenk an diesem Morgen.
Langsam, ganz langsam begriff ich es: hier bin ich zuhause und hier gehöre ich hin. Mit allem was dazugehört. Das ist mein Leben und meine Zukunft. Eine Zukunft deren Gegenwart ich jetzt weiterschreiben darf. Vielleicht mit mehr Achtsamkeit, mit mehr Gespür für andere aber auch für mich selbst.
Ich habe verstanden, dass man in dieser Welt nur glücklich werden kann, wenn man realistisch bleibt. Realistisch bei den Zielen und bei seinen Grenzen. Realistisch bei den Träumen und realistisch bei den Erwartungen. Das Leben – ein Geschenk.

Und? Fast hätte ich es vergessen: wie erging es meinen Füßen nach der großen Pilgerfahrt? Gut. Kein Schnitt, keine Kratzer keine Blessuren. Vielleicht müssen wir wirklich lernen mehr zu vertrauen. Unser Körper ist soviel mehr imstande zu leisten als wir es uns vorstellen können. Auch Glaube und Zuversicht sind Teil des Ganzen.
Auf Schuhe jedenfalls habe ich für den Rest meiner Reise verzichtet. Das Erlebte und meine Erinnerungen an meine Kindheit lassen mich bis heute, wo immer es möglich ist, meine Schuhe vergessen. Fest auf dem Boden stehend und fest mit der Erde verbunden. Versuch’s!